18.03.2021

Umweltgift PCB bedroht die Artenvielfalt im Nationalpark

Der Spöl im Nationalpark ist stark mit PCB belastet. Tiere und Pflanzen leiden unter dem Umweltgift, doch der Kanton Graubünden will nur Teile des Flusses und diese zudem nur in eingeschränktem Umfang sanieren. WWF, Pro Natura und Aqua Viva geht dies nicht weit genug. Sie fordern eine möglichst vollständige Sanierung der PCB-Belastung sowohl im Spöl als auch in den Kraftwerksanlagen und legen Beschwerde ein gegen die Sanierungsverfügung des Kantons.

Im Jahr 2016 sind bei Unterhaltsarbeiten an den Anlagen der Engadiner Kraftwerke AG (EKW) hochgiftige PCB in den Fluss Spöl im Schweizerischen Nationalpark gelangt. Dabei wurde dieser auf seiner gesamten Fliessstrecke bis zum Ausgleichsbecken Ova Spin verunreinigt. Algen, Moose, Fische und die Bachsedimente bis in eine Tiefe von 50 cm sind heute stark mit PCB belastet, das Wasser teilweise ebenfalls. Im vergangenen Herbst wurde im Nationalpark ein toter Uhu mit einer exorbitant hohen PCB-Belastung gefunden, was zeigt, dass das Gift bereits in die Nahrungskette der Wildtiere gelangt ist.

Eine Teilsanierung genügt nicht

Trotz nachgewiesenen Schäden an der Natur und einer drohenden unkontrollierten Ausbreitung der Verseuchung verlangt der Kanton in seiner Sanierungsverfügung von der EKW aus wirtschaftlichen Gründen nur eine teilweise Entgiftung des Spöls. Mindestens ein Drittel der PCB würde so weiterhin im Spöl verbleiben. Für die Umweltorganisationen ist dieser Entscheid unverständlich, weil eine Vollsanierung für die EKW ohne weiteres tragbar ist. Sie erzielt jährlich hohe Erträge und gibt den beteiligten Aktionären - zu denen auch der Kanton Graubünden gehört - viel Strom zu Gestehungskosten ab. Nicht vorgesehen ist zudem die rasche Sanierung des mit PCB belasteten Druckstollens vom Stausee Punt dal Gall zum Ausgleichsbecken Ova Spin. Für die Restbelastung mit PCB sowie für die reduzierte Wasserabgabe an den Spöl und den Verzicht auf künstliche Hochwasser seit dem Vorfall werden ausserdem keine ökologischen Ersatzmassnahmen verfügt. Dies geht den Umweltorganisationen viel zu wenig weit.

Auch Kraftwerksanlagen entgiften

«Im grössten und bekanntesten Schweizer Naturschutzgebiet haben wir einen mit PCB vergifteten Fluss, und die Behörden sanieren nur halbherzig. Das reicht nicht», sagt Armando Lenz, Geschäftsführer von Pro Natura Graubünden. Die Umweltorganisationen fordern in ihrer Beschwerde, dass nicht nur rund die Hälfte der Fliessstrecke des oberen Spöl unterhalb der Staumauer Punt dal Gall ganz oder teilweise von PCB befreit wird. Vielmehr ist der rechtmässige Zustand in allen Flussabschnitten bis zum Ausgleichsbecken Ova Spin wiederherzustellen. Zudem sollen auch die mit dem seit den 1970er-Jahren nicht mehr zugelassenen, PCB-haltigen Rostschutz behandelten Kraftwerksanlagen umgehend saniert werden. Auf Grund der Untersuchungsergebnisse gehen die Umweltorganisationen davon aus, dass der weitaus grösste Teil der PCB-Belastung im Spöl nicht vom Unfall im Jahre 2016 stammt. «Wahrscheinlich werden PCB schon seit Jahrzehnten permanent aus Teilen der Kraftwerksanlagen der EKW in den Spöl abgelöst und ausgespült», sagt Salome Steiner, Geschäftsleiterin von Aqua Viva.

Vollständige Sanierung in Etappen

Die vom Kanton verfügte Sanierung des ersten schwer belasteten Spöl-Abschnittes unterhalb der Staumauer Punt dal Gall soll umgehend angegangen werden. Dies ist aber nur die erste Etappe einer umfassenden Sanierung. Darüber hinaus muss die gesamte Fliessstrecke des Spöl im Nationalpark möglichst umfassend und wirksam von PCB befreit werden. «Nur so lässt sich verhindern, dass die mit giftigen Schadstoffen belasteten Lebensräume noch für Jahrzehnte Giftfallen bleiben und dass sich PCB in Nahrungsketten weiter anreichern», sagt Anita Mazzetta, Geschäftsleiterin des WWF Graubünden. Die Umweltverbände fordern darum auch, dass die Auswirkungen der PCB auf die Tiere im Nationalpark überwacht werden, bis der Spöl vollständig entgiftet ist.

PCB: Hochgiftig und längst verboten

Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind giftige, wahrscheinlich krebserregende, organische Chlorverbindungen, die in der Schweiz in offenen Systemen seit den 1970er-Jahren verboten sind. Sie wurden beim Bau der Kraftwerksanlagen und in den nachfolgenden Jahrzehnten standardmässig zum Rostschutz eingesetzt. PCB werden in der Natur praktisch nicht oder nur sehr schlecht abgebaut und reichern sich über die Nahrungskette im Fettgewebe von Tieren an. Bei Wildtieren führt eine chronische PCB-Vergiftung zu Unfruchtbarkeit, Vitalitätsverlust und bewirkt einen frühen Tod. Auch für den Menschen wirkt PCB als schlimmes, chronisches Gift. Die hohen Konzentrationen im Spöl stören somit das intakte und weitestgehend unberührte Ökosystem des Nationalparks empfindlich.

Weitere Informationen:
Anita Mazzetta, Geschäftsleiterin WWF Graubünden, 081 250 23 00, 076 500 48 18
Armando Lenz, Geschäftsführer Pro Natura Graubünden, 081 253 56 44
Tobias Herbst, Medienverantwortlicher Aqua Viva, 052 625 26 58